Erster Klasse in die Vergangenheit

2022-08-20 12:35:53 By : Mr. gongda fan

Die legendäre Fluggesellschaft Pan Am lebt – zumindest in einer nachgebauten Boeing 747 in Los Angeles.

Talaat Captan, 53, ist Gründer und Inhaber von „Air Hollywood“, einer in Los Angeles angesiedelten Firma, die Flugzeug-Kabinen vermietet.

Herr Captan, um ein paar Stunden in einer nachgebauten Flugzeug-Kabine zu sitzen, geben Ihre Gäste mehrere Hundert Dollar aus. Warum?

Talaat Captan: Weil sie im Jahr 1970 sind, sobald sie unser Studio betreten. Die Uniformen, der Ticketschalter, die Sitze, die Bar – alles sieht exakt so aus wie in der goldenen Zeit des Fliegens. Sie steigen in unsere Boeing 747 ein, hören Frank Sinatra, essen ein edles Menü und können im Duty-Free-Shop sogar die Parfüms von damals kaufen. Darauf fahren die Leute besonders ab, obwohl sie nicht mal besonders gut riechen – eher wie Putzmittel (lacht).

Früher war Fliegen ein Luxus, den sich kaum jemand leisten konnte. Die Technik war unsicherer als heute. Was ist daran so bewundernswert?

Captan: Natürlich kann heute jeder für 29 Dollar mit Ryanair fliegen. Die Luftfahrt ist sicherer denn je, weil man aus jedem Unfall gelernt hat. Aber das Gefühl ist ein anderes. Früher war Fliegen etwas Besonderes, etwas Exklusives, man sagte „Bon voyage“ vor der Reise. Heute ist jeder nervös, alles ist stressiger geworden, und dann noch die Angst vor Terrorismus. Wenn wir heute fliegen, sagen wir: „Have a safe trip“ (Komm gut an).

Wer sind die Menschen, die sich nach der guten alten Zeit sehnen?

Captan: Unsere Zielgruppe ist erstaunlich gemischt. Zum einen haben wir ältere Menschen, die sich noch an ihre eigenen Flüge mit Pan Am erinnern. Andererseits kommen auch viele junge Nostalgiker, die „Mad Men“ gesehen haben und sich nun selbst wie ein König über den Wolken fühlen wollen. Oft besuchen uns Paare, die sich im Flugzeug kennen gelernt haben. Und natürlich kommen auch viele ehemalige Pan-Am-Mitarbeiter. Da geht es sehr emotional zu, die weinen fast immer.

Wie läuft ein solcher Abend genau ab?

Captan: Der Abend dauert ungefähr von 18 bis 23 Uhr. Zuerst erhalten die Gäste am Schalter ihr Flugticket und können sich in unserer Wartehalle umschauen. In der Kabine werden sie dann auf jede erdenkliche Weise verwöhnt. Es gibt ein delikates Essen, dazu eine Modenschau mit Stewardessen-Outfits aus der Pan-Am-Zeit. Natürlich wird auch ein Film gezeigt, zum Beispiel „James Bond: Goldfinger“. Wichtig ist, dass die Gäste in diese Welt eintauchen, indem sie sich dem Anlass entsprechend kleiden.

Gibt es bei Ihnen also einen Dresscode?

Captan: Niemand wird gezwungen in Anzug und Krawatte zu erscheinen, aber in Jeans und Turnschuhen sollte man auch nicht kommen. Das wäre nicht gut für die Atmosphäre. Trotzdem gibt es immer mal wieder Kunden, die direkt vom Flughafen kommen und so aufgeregt sind, dass sie das Umziehen ganz vergessen. Die schicken wir natürlich nicht wieder nach Hause.

Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, Pan Am wieder aufleben zu lassen?

Captan: Unser Hauptgeschäft ist der Verleih von Flugzeug-Kabinen als Filmkulissen. An einem Flughafen in echten Maschinen zu drehen, ist heute fast unmöglich, weil die Sicherheitsauflagen so strikt sind. Deshalb kommen viele Produzenten in unser Studio. „Pan Am Experience“ gibt es seit 2015. Das war eine spontane Idee, die ich als Pan-Am-Fan einfach mal ausprobieren wollte. Ich war selbst erstaunt, wie groß die Nachfrage ist.

Dabei handelt es sich bei Ihrem „Flugzeug“ lediglich um einen Nachbau, der nicht einmal beweglich ist…

Captan: Stimmt, aber an unserem nächsten Standort in Las Vegas, den wir schon bald eröffnen wollen, soll das anders werden. Dort steht dann ein richtiger Simulator, in dem Sie Turbulenzen erleben und die Wolken an den Fenstern vorbeiziehen sehen. Aber das ist gar nicht das Wichtigste. Die Atmosphäre ist schon heute so authentisch, dass Sie sich auch so wie in einem Flugzeug fühlen. Allein schon der Service durch unsere Stewardessen…

Kostenfreier Newsletter: Das Beste aus dem Riff

Tragen Sie sich hier ein – dann erhalten Sie regelmäßig die besten Beiträge von RiffReporter und unsere neuesten Recherchen direkt ins Postfach

Woher wissen Ihre Stewardessen denn, wie genau der Service 1970 ablief?

Captan: Unsere Schauspielerinnen werden speziell geschult von einer älteren Dame, die früher als Purser bei Pan Am gearbeitet hat. Sie kennt noch jeden Handgriff. Außerdem ist es enorm wichtig, dass unsere Schauspielerinnen diesen Job nicht nur machen, um an schnelles Geld zu kommen. Sie müssen den Pan-Am-Gedanken leben. Von mehreren Hundert Bewerberinnen schaffen es etwa 80 in unser Team.

Haben Sie auch einen Koch aus den 1970er-Jahren?

Captan: Nicht ganz. Unser Essen kommt aber tatsächlich vom Flughafen in Los Angeles. Dort wird es nach unseren Anforderungen zubereitet, sodass es sich wirklich um die Menüs handelt, die auch bei Pan Am serviert wurden. Das Ganze wird zu uns geliefert und vor Ort erwärmt. Dazu gibt es natürlich auch die passenden Getränke.

Pan Am gibt es schon seit 1991 nicht mehr. Wo haben Sie die ganzen Requisiten her?

Captan: Jedes Glas, jede Gabel, jeder Teller, den Sie bei uns sehen, ist ein Original. Überall sind die Pan-Am-Logos aufgedruckt. Manche Gegenstände finden Sie im Internet, andere bei Sammlern. Es ist schon erstaunlich, welche Vorräte sich manche Leute anlegen. Für viele haben solche Dinge einen enormen Wert.

Müssen Sie da nicht aufpassen, dass nichts gestohlen wird?

Captan: (lacht) Das ist wirklich so. Wir weisen bei jeder Veranstaltung darauf hin, dass die Gäste nichts mitnehmen sollen. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass hinterher etwas fehlt. Aber ich versuche das positiv zu sehen: Das zeigt doch nur, wie beliebt wir sind.

Und was ist, wenn die Fluggäste mal auf Toilette müssen? Betreiben Sie auch ein nachgebautes Bord-WC?

Captan: Bisher nicht. Das ist eine Kleinigkeit, die tatsächlich noch nicht ganz authentisch ist. Aber keine Sorge, niemand muss sich fünf Stunden quälen. Wir haben in unserem Studio natürlich auch ein richtiges Badezimmer – direkt neben dem Flugzeug.

Das Interview ist zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen. Die Fotos wurden vom Veranstalter kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Sie möchten RiffReporter-Beiträge redaktionell nutzen? Schreiben Sie uns eine E-Mail.

Steve Przybilla (Jg. 1985) ist freier Journalist. Zu seinen Schwerpunkten gehören USA-Reportagen sowie Mobilitäts- und Datenschutz-Themen. Seine Texte erscheinen u.a. in der Süddeutschen Zeitung, der NZZ und bei FAZ Quarterly.

„Amerika ist wunderschön—wenn nur die Amerikaner nicht wären.“ Als Steve Przybilla seinen ersten USA-Flug buchte, fasste ein Reisebüro-Mitarbeiter das Land mit genau diesem Satz zusammen.

Das Erlebnis ist lange her, das Reisebüro längst geschlossen. Was geblieben ist, ist Steves unstillbare Neugier auf dieses verrückte, unbekannte, uns Europäern oft fremde und gerade deswegen so faszinierende Land. Seit 15 Jahren bereist Steve für verschiedene Medien (u.a Süddeutsche Zeitung, Neue Zürcher Zeitung, Spiegel online) als Reporter die USA.

In seinem Online-Magazin nimmt Sie Steve mit auf seine Recherchen. In unregelmäßigen Abständen erscheinen hier Reportagen, die eine Perspektive jenseits der üblichen Klischees bieten. Wir entdecken Amerika, indem wir Washington hinter uns lassen. Indem wir Kifferïnnen interviewen, Einreise-Bestimmungen sezieren, Separatistïnnen besuchen, auf Ufo-Jagd gehen, Verschwörungstheorien zur „Neuen Weltordnung“ ergründen und „Black Lives Matter“-Aktivistïnnen auch dann noch begleiten, wenn ihre Demo längst vorbei ist. Waffenrecht, Todesstrafe und Abtreibungsstreit? Auch das ist Amerika. Aber eben nicht nur.

Durch dieses Eintauchen ins pralle Leben entsteht ein mehrdimensionaler und trotzdem kritischer Blick auf ein Land, das sich ständig wandelt. Und Sie sind dabei.

Willkommen im Magazin für USA-Reportagen. Welcome to USA Reporter!

Verantwortlich im Sinne des Presserechts

www: https://freischreiber.de/profiles/steve-przybilla

Journalismus zu Wissenschaft, Umwelt, Gesellschaft, Technik und Weltgeschehen – direkt von professionellen freiberuflichen Journalistïnnen, deren Arbeit und Recherchen Sie mit RiffReporter direkt unterstützen können.

Wie professionelle Journalistïnnen und ihre kreativen Partner bei uns mitmachen können.

So kaufen Sie Artikel, Themen-Abos und unser Riff-Abo.

Wir stehen für Unabhängigkeit, Fairness und Faktentreue: unser Kodex.