Prien: Ein Joghurtglas zurückzugeben, kann in Deutschland schnell zu einer Herausforderung werden. Ein Beispielfall aus Prien am Chiemsee legt die Tücken des Pfandsystems offen.

2022-09-10 12:28:32 By : Mr. kevin liu

Ein Joghurtglas zurückzugeben, kann in Deutschland schnell zu einer Herausforderung werden. Ein Beispielfall aus Prien am Chiemsee legt die Tücken des Pfandsystems offen.

München – Mit einem Joghurtglas von Landliebe machte Matthias Sauer Bekanntschaft mit einer komplizierten Rechtsmaterie, mit der selbst Juristen zu kämpfen haben: dem deutschen Pfandsystem für Flaschen und Gläser. Dabei sah alles ganz einfach aus.

Matthias Sauer wollte ein leeres 500-Milliliter-Glas von Landliebe in seinem örtlichen Nettomarkt in Prien am Chiemsee abgeben. „Der Markt verkauft aber nur die kleineren Landliebe-Gläschen, nicht die großen mit 500 Milliliter“, sagt Matthias Sauer. Die Annahme sei verweigert worden, da das 500-Milliliter-Glas bei Netto nicht zum Verkauf stünde.

Jetzt muss Matthias Sauer einen Laden finden, der das Joghurtglas akzeptiert. Ansonsten droht dem Pfandgut eine Zukunft im Altglascontainer. „Dabei ist der Grundgedanke des Pfandsystems doch die Müllvermeidung.“ Er fühle sich „auf den Arm genommen“.

Die Verbraucherzentralen sprechen von einer „Verwirrung total“ und haben einmal mühsam auseinanderklamüsert, was an deutschen Pfandautomaten und Rückgabetheken erlaubt ist und was nicht. Das geht mit der Frage los, ob ein Glas oder eine Flasche unter das Einwegpfand oder das Mehrwegpfand fällt – denn das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Die Mehrweg-Idee klingt einleuchtend: Flaschen und Gläser sollen, statt im Müll zu landen, nach der Rückgabe beim Hersteller wiederbefüllt werden. „Für Mehrweg-Flaschen muss man daher immer Pfand bezahlen – egal, welches Getränk darin abgefüllt ist“, sagt Matthias Zeuner-Hanning von der Verbraucherzentrale Bayern.

Verwirrend ist das System, weil die Höhe des Pfands unterschiedlich ausfällt. Für Mehrwegflaschen – egal ob Glas oder PET – gibt es meist 15 Cent. Bei Bierflaschen sind es acht Cent. Aber damit nicht genug: „Für Spezialflaschen, zum Beispiel Bügelflaschen, kann auch mehr Pfand genommen werden“, sagt der Experte.

Per Gesetz ist das Mehrwegsystem nur lax geregelt, das macht es juristisch knifflig. „Die Pfandhöhe und die Erstattung für Mehrwegflaschen sind zivilrechtliche Vereinbarungen“, erklärt Zeuner-Hanning von der Verbraucherzentrale. Dieser Vertrag besagt, dass nur derjenige Händler, bei dem ein Pfand hinterlegt wurde, nach der Rückgabe das Geld auch erstatten muss. Im Kampf gegen Plastikmüll wird das Pfandsystem jedoch verschärft - und 2022 auf zahlreiche weitere Getränke ausgeweitet.

Für Matthias Sauer aus dem Chiemgau bedeutet das: Beim Kauf des Joghurts hat er unbemerkt einen Vertrag mit einem Händler abgeschlossen, und nur dieser Händler ist zur Zahlung verpflichtet. „Streng genommen kann der Händler sogar den Kassenbon verlangen“, sagt Zeuner-Hanning. In der Praxis ist das aber selten.

Auch die Netto-Zentrale im oberpfälzischen Maxhütte-Haidhof gibt ihren Filialen vor: „Netto Marken-Discount nimmt alle Mehrweg-Getränkeverpackungen zurück, die in der jeweiligen Filiale auch angeboten werden – und zwar unabhängig davon, ob die Mehrweggetränkeverpackung in dieser Filiale gekauft wurde oder nicht.“ Das erklärt eine Sprecherin des Unternehmens schriftlich auf Anfrage unserer Zeitung.

Netto-Kunde Sauer muss sich damit abfinden, dass sein Discounter in Prien nicht alle Mehrwegprodukte akzeptiert. Rechtlich ist der Fall klar. „Der Ärger des Verbrauchers ist dennoch nachvollziehbar“, sagt Verbraucherschützer Zeuner-Hanning. „Das Problem ist eben, dass die Vorschriften des Verpackungsgesetzes nicht für Mehrwegflaschen gelten.“

Tatsächlich regelt dieses Gesetz vor allem den Umgang mit Einwegverpackungen. Darunter fallen bestimmte Plastikflaschen und Getränkedosen. Statt die Flaschen neu zu befüllen, wird das Einwegplastik nach der Rückgabe geschreddert. Der Vorteil für die Umwelt ist zweifelhaft, aber für Verbraucher ist das System leicht zu verstehen: Einwegflaschen sind fast immer mit einem Logo gekennzeichnet, zurück gibt es 25 Cent, die Rückgabe ist fast überall möglich, wo es Getränke gibt. Ausnahmen gelten nur für kleine Läden.

Von dieser Transparenz ist das Mehrwegsystem weit entfernt. Es ist Getränkehändlern und Supermärkten zu verdanken, dass sie freiwillig in vielen Fällen trotzdem Leergut annehmen, obwohl sie es nicht immer müssten.

Bei sogenannten Poolflaschen wird Händlern die Rücknahme ohnehin erleichtert. In Bayern etwa füllen die meisten Brauereien ihr Helles in der standardisierten Euroflasche ab. Das Brauhaus Tegernsee akzeptiert Flaschen der Münchner Augustiner-Brauerei und umgekehrt. Alle teilnehmenden Brauereien schöpfen aus einem Pool.

Kompliziert wird es bei Individualflaschen. Hier versuchen Brauereien und zunehmend auch Mineralwasserabfüller, mit einem unverwechselbaren Flaschendesign bei der Kundschaft zu punkten. Neben der Umweltproblematik – das Leergut muss immer zurück zum Abfüller – verkompliziert das die Rückgabe. So dürfte in Oberbayern die Dichte an Pfandautomaten, die eine Bügelflasche Flensburger Pils akzeptieren, deutlich geringer sein als im Norden Deutschlands.

Jetzt soll aber alles besser werden. Im August kündigten die Brauriesen Bitburger, Krombacher, Warsteiner und die Radeberger Gruppe an, einen neuen Flaschenpool für die 0,33 Liter fassende Longneck-Flasche zu schaffen – also die klassische Langhalsflasche für Pils.

Im September folgte der nächste Coup: Die Brauereiverbände der Bier-Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen kündigen an, zusammen mit der Sozietät Norddeutscher Brauereiverbände und weiteren Brauereien einen genossenschaftlich organisierten Mehrwegpool zu schaffen. Ihr Versprechen: eine effizientere, umwelt- und verbraucherfreundliche Bierflaschennutzung. Als Vorbild dient die Mineralwasser-Branche. Die Genossenschaft Deutscher Brunnen, an der etliche Abfüller beteiligt sind, setzt seit Jahrzehnten auf Standardflaschen. Berühmt ist die 0,7-Liter-Perlenflasche mit ihren Noppen an der Einschnürung.

Gelingt es den Unternehmen in Eigenregie, das Mehrweg-Chaos zu stoppen? In Berlin jedenfalls scheint man davon überzeugt zu sein. Im November legte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) eine Novelle des Verpackungsgesetzes vor – und beim Mehrwegpfand bleibt fast alles beim alten.

Die Ministerin plant vor allem Änderungen beim Einwegpfand. Denn selbst beim recht transparenten Einwegpfand gibt es noch immer Regelungen, deren Logik sich Verbraucherschützern noch nie erschlossen hat. Ein Beispiel: Für Mineralwasser in Einwegplastikflaschen müssen Kunden derzeit einen Pfandaufschlag von 25 Cent zahlen – nicht aber für Orangensaft in Plastikflaschen. Das Gesetz kennt hier eine Ausnahme. „Das hat teilweise zu Verwirrung geführt, weil einige Flaschen unter die Pfandpflicht fielen und andere nicht“, räumt ein Sprecher der Ministerin gegenüber unserer Zeitung ein. „Die Ausnahmen werden weitestgehend abgeschafft“, sagt er. „Künftig gibt es Einwegplastikflaschen und Dosen nur noch mit Pfand.“

Und im Mehrwegsystem ist ein zaghafter Eingriff geplant: „Wer Mehrwegflaschen in Verkehr bringt, ist zukünftig verpflichtet, Mehrwegflaschen der gleichen Art, Form und Größe zurückzunehmen“, erklärt der Ministeriumssprecher das geplante Gesetz. Stimmt der Bundestag zu, stünde das Konstrukt eines zivilrechtlichen Mehrweg-Vertrags beim täglichen Einkaufen vor dem Aus.

Nur Kunden dürften davon kaum etwas mitbekommen. Im Gesetz würde dann das stehen, was längst gelebte Praxis ist. Am Chiemsee nimmt Netto heute schon Mehrweggut an, das in „Art, Form und Größe“ der verkauften Ware entspricht. Pech für Matthias Sauer: Obwohl das Thema auf höchster Regierungsebene Thema ist, muss sein Discounter auch in Zukunft nicht alle Landliebe-Gläser zwingend annehmen. „Unlogisch“, findet Sauer. „Es geht doch um ein Problem, das uns alle betrifft, egal ob wir nur unser Pfand zurückhaben wollen oder ob wir in einer möglichst sauberen Welt leben wollen.“